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Die erste Nacht

Nach einer Fahrt erzählt man immer gern von den aufregenden Erlebnissen und wie toll alles war und wie die Gruppe alles mehr oder weniger gemeistert hat. Dazu gehört für mich auch die berühmte erste Nacht auf vielen Fahrten. Hat nicht jeder schon mal irgendwo am Flughafen oder Bahnhof geschlafen, weil man abends keine andere Möglichkeit mehr finden konnte?

Als wir aus dem Bahnhof kommen wird es schon langsam dunkel. Eine Frau im roten Kleid läuft eilig vorüber, eine Gruppe Jungs sitzt auf den Treppenstufen – die Bierflaschen in der Hand, ein Mann sammelt Pfandflaschen aus den Mülleimern. Es ist schwül-warm, aber die kühle Nacht legt sich auf die Stadt. Und wir? Wir suchen einen Schlafplatz. Es ist unser erster Abend auf Fahrt. Wir sind erst heute Mittag aufgebrochen und haben den ganzen Tag im stickigen Zug verbracht und hoffen jetzt auf ein ruhiges Plätzchen um morgen endlich aufbrechen zu können -raus aus dem Labyrinth aus Beton und Pflastersteinen und dem hektischen Alltag, hinein in unser ganz eigenes Abenteuer. Aber dazu gehört eben auch die erste Nacht.

Die Rucksäcke geschultert, quietschend und ruckelnd mit schweren Klumpen an den Füßen bewegen wir uns langsam durch die Straßenzüge, in der Hoffnung den Stadtrand schnell zu erreichen und damit die Chance auf einen ruhigen Schlafplatz zu erhöhen. Unsere erste Motivation verfliegt schnell unter der doch ungewohnten Last des Rucksacks, der noch nicht optimal eingestellt ist und den müden Schritten mit schlurfenden Wanderschuhen an den Füßen. Wir sind müde und nach einigen Asphaltkilometern ist es komplett dunkel und es siegt die Trägheit. Hilfesuchend schauen wir uns um. Jede stille Gasse, jede Verkehrsinsel scheint auf einmal sehr verlockend um sich einfach nur hinzulegen. „Es sind ja nur ein paar Stunden. Wenn es hell wird brechen wir gleich wieder auf und dann dauert es morgen nicht mehr lang bis zum Waldrand“

Hinter einer kleinen Tankstelle mit Parkplatz finden wir einen versteckten Winkel, umzäunt mit schützenden Hecken, direkt dahinter eine kleine Kreuzung. Wir satteln ab und begutachten unseren heutigen Schlafplatz. „Die paar Steine können wir beiseite räumen und auf der Straße fährt in ein paar Stunden niemand mehr, es ist ja jetzt schon ganz ruhig.“

Die Jüngeren legen wir in unsere Mitte, dicht beieinander, eingekuschelt unter Kothenblättern versuchen wir zur Ruhe zu kommen. Hinter der Hecke kann uns niemand sehen, aber jeder Schritt und jedes Wort der vorbeikommenen Fußgänger schreckt uns auf. Irgendwann klingt alles ganz entfernt. Auf einmal piept es : die Fußgängerampel ist grün. Danach wird alles wieder still. Jemand wälzt sich im Schlafsack. Ich kuschel mich in meine Kopfkissenjuja. Grade als meine Glieder schwer geworden und ich in Gedanken, fast in Träumen versunken bin, rollt ein Laster heran und die Bremsen schnaufen schwer. Als er um die Kurve biegt, knarren die Gelenke. Nicht nur ich bin wieder hellwach, auch neben mir hebt jemand den Kopf aus dem Schlafsack, lauschend was das fremde Geräusch wohl sein könnte. Und so geht es die ganze Nacht. Sobald wir grade die Augen zu haben und langsam wegdämmern, schrickt wieder jemand auf, geweckt durch die urbane Geräuschkulisse, die doch irgendwie Gefahr bedeutet.

Sobald es so dämmert freue ich mich, dass ich bald aufstehen, packen und davonlaufen kann. Aber dann spüre ich meine schweren Beine und merke, wie müde ich eigentlich bin. Ich hebe den Kopf, sehe immer wieder ein bis zwei Paar Augen, die gespannt aufblicken und dann wieder müde zufallen. Man sieht die Unruhe in den Schlafsackmumien, wie sich immer wieder jemand wälzt, umschauende Köpfe heben sich, jemand hustet. Nur ein Schlafsack liegt ganz ruhig und man hört ein leises Schnarchen. Na nu? „Das ist Anke, die hat Ohrstöpsel dabei“  flüstert es neben mir, meine runzelige Stirn deutend.

Sobald es heller wird, höre ich die ersten Flüstergespräche der Kleinen. „Bist du auch wach?“ „Ja, ich hab fast gar nicht geschlafen. Ich hatte immer Angst, dass wir entdeckt werden oder das ein Dieb kommt“ „Ich hab nur komische Dinge geträumt und es hat immer im Traum gepiept“ „Hihi, das war die Ampel, die gepiept hat!“ 

Ich setze mich auf und spüre dabei deutlich meinen verspannten Nacken. Es hat wohl keinen Sinn mehr auf mehr Schlaf zu hoffen. Müde, aber voller Vorfreude auf die nächste – diesmal ruhigere – Nacht im Wald packen wir unseren Kram zusammen und schultern die Rucksäcke. „Zum Frühstücken ist es zu früh, erstmal raus aus der Stadt!“

10 Tage später sitzen wir wieder vor einem Bahnhof und warten auf unseren Zug nach Hause. In Gedanken an die Erlebnisse der letzten Tage, das Schwimmen im Meer, der nette Mann der uns zum nächsten Supermarkt gefahren hat, die kühlen  und schattigen Wege entlang des Bachs, das Singen, wir mit unseren Rucksäcken durch fremde Dörfer und Wiesen wandert -und dann „Wisst ihr noch die erste Nacht?!“ „Ooh, das kommt mir schon so lange her“ „Ich wollte gleich wieder heim!“ „Ja, bis auf dieses Erlebnis war alles so schön!“ „Ach kommt schon, das war doch auch irgendwie lustig, oder?! Ich mein, das war unser erstes kleines Abenteuer und wir sind dadurch ganz schön zusammen gewachsen und konnten die ruhigen Nächte danach doch viel besser genießen, oder etwa nicht?!“ 

 

Von:

Eli stammt aus dem VCP Gau Tronje. Sie wahrt einen gesunden Abstand zu allem was zu technisch und zu viel Nerdkram ist. Sie sorgt dafür, dass möglichst viele Fehler auf schwarzzeltvolk.de nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken.

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