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Eine gemeinsame Kluft – Das kann doch nicht gutgehen! Oder?

Dies ist ein Gastbeitrag von Mareike. Sie kommt aus dem VCP Stamm Astrid Lindgren aus Hamburg und fährt als Truppleitung des VCP Trupps Vitalianer (HH/Schleswig-Holstein 1) dieser Tage auf das Weltpfadfindertreffen nach Japan.

(In diesem Artikel wird aus Gründen der Lesbarkeit lediglich das Wort ‚Kluft‘ verwendet. Alle Trachten, Hemden und ähnliche Stücke Stoff dürfen sich einbezogen fühlen)

„Jeder Mensch mit einer neuen Idee ist ein Spinner,

bis die Idee Erfolg hat“

(Mark Twain)

Pressefoto

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„Das deutsche Kontingent (VCP, DPSG, BdP) fährt in diesem Sommer erstmals in einer gemeinsamen Kluft auf das Weltpfadfindertreffen nach Japan.“

Ein Satz, dessen Brisanz in den Ohren von Otto-Nichtpfadi und vieler Pfadfinderinnen und Pfadfinder anderer Länder unverstanden bleibt.

Alle deutschen Pfadfinder und Bündische allerdings horchen hier auf.

Pfadfinder verschiedener Verbände in ein und derselben Kluft?

Warum!?

Ist es nicht gerade die Vielfalt die deutsche Pfadfinderschaft und bündische Jugend ausmacht?

Bevor ich näher auf das Warum und die Umsetzung dieser Idee eingehe, ein paar grundlegende Dinge vorweg.

Das Weltpfadfindertreffen (Jamboree) der Organisationen WOSM und WAGGGS findet alle vier Jahre in einem anderen Land statt. Im Sommer 2015 treffen sich 33.000 Pfadfinderinnen und Pfadfinder aus 144 Ländern in Japan.

Das Teilnahmealter liegt zwischen 14 und 17 Jahren, aus jedem Land darf sich lediglich ein Pfadfinderverband (pro Geschlecht) anmelden. Das führt in den meisten Ländern dieser Welt zu keinem Problem.

Die teilnehmenden Pfadfinderverbände aus Deutschland sind der RdP und der RDP.

„Was kompliziert wirkt, ist eigentlich ganz einfach. Es gibt je einen Weltverband für die weiblichen Mitglieder und einen für die männlichen Mitglieder. Über den Ring Deutscher Pfadfinderinnenverbände (RDP) sind BdP, PSG und VCP im Weltbund der Pfadfinderinnen World Association of Girl Guides and Girl Scouts (WAGGGS) vertreten.

BdP, DPSG und VCP sind über den Ring deutscher Pfadfinderverbände (RdP) in der Weltpfadfinderbewegung World Organisation of Scout Movement (WOSM) vertreten.

RDP und RdP bilden gemeinsam die Arbeitsgemeinschaft rdp.“

(http://www.pfadfinden-in-deutschland.de/ueber-uns/struktur-gremien/)

So weit so gut.

Die deutschen Pfadfinderinnen und Pfadfinder sind also in der Vergangenheit in ihren Verbandskluften aufs Jamboree gefahren und ein Großteil derer, die schon an Jamborees teilgenommen haben, kennen die Gespräche mit Pfadfindern aus aller Welt darüber, warum ‚die Deutschen‘ denn nicht alle die gleiche Kluft tragen. Zusätzlich dazu, gab es (leider!) selbstverständlich die zwischenverbandlichen Differenzen. „Das sind die DPSGler, die machen das immer so komisch…“ „Das die VCPler, die sind immer so viele und so dominant.“ „Das sind die BdPler, die sind so verplant…“ oder Ähnliches habe ich regelmäßig auf verbandsübergreifenden Veranstaltungen vernommen.

Ich bin persönlich gut vertraut mit der deutschen pfadfinderischen und bündischen Geschichte und sehe sie als einen sehr elementaren Teil dessen, was die Besonderheit der deutschen Pfadfinderbewegung ausmacht an.

Als ich das erste Mal von der ‚Jamboreekluft‘ hörte war ich durchaus skeptisch, was nicht nur an der Frage nach dem Warum, sondern auch an der Liebe zu meinem grauen Hemd lag, das man mir nun, auf einer der wichtigsten Veranstaltungen meines Pfadfinderlebens, ’nehmen‘ wollte.

Ich war jedoch bereit mich auf dieses ‚kleine Abenteuer‘ einzulassen und es war für mich selbstverständlich, meinen Teilnehmenden, die skeptisch bis empört reagierten, gegenüber zu vertreten, dass es sich um eine coole Aktion handle.

Als das Ringelager in Immenhausen (Himmelfahrt 2015) bevorstand stieg die Aufregung auf das neue Hemd. Wobei die häufigste Frage „Wie sieht es aus?“ und weniger „Welchen Effekt wird es haben?“ war.

Wie sich herausstellen sollte, unterschätzen viele die Bedeutung der zweiten Frage.

Auf dem Lager angekommen, gab es erstmal Wichtigeres und ich genoss das bunte Treiben der drei Verbände sehr, unterhielt mich sowohl mit BdPlern, DPSGlern und VCPlern gut, die Stimmung war schön und von Vorfreude geprägt.

Nachdem die neuen Kluften („Wie heißt die Farbe?“ „Petrol.“ „Häh? Tut man das nicht in Lampen?“) an alle Teilnehmenden verteilt worden waren, gab es eine gemeinsame Umzieh-mit-Vorher-Nachher-Foto-Aktion, die an sich schön aber unspektakulär war. Der nachfolgende Effekt war jedoch einer der beeindruckendsten meines Pfadfinderlebens.

Es begann damit, dass ich, direkt nachdem alle in ihr neues Hemd geschlüpft waren, einige meiner Teilnehmenden suchte und feststellte, dass dies gar nicht so leicht ist, wenn alle das Gleiche tragen. Automatisch wollte ich die Masse erst nach Grauhemden durchsuchen um dann unter diesen nach bekannten Gesichtern zu scannen – Pustekuchen.

Viel wichtiger war jedoch, dass ich mich in den darauffolgenden Gesprächen mit anderen Truppleitungen dabei erwischte wie ich mich zu erinnern versuchte, ob ich diese schon mal gesehen… und welche Farbe ihr Hemd da hatte…

Verwundert über meine eigenen Gedanken musste ich lachen, so viel Bedeutung hat die Farbe der Kluft also, noch bevor ich ein Wort mit jemandem gewechselt hatte.

Um jetzt zu erfahren, aus welchem Verband jemand kam, musste ich auf ihn zugehen, mit ihm ins Gespräch kommen und ich muss zugeben, dass ich es von vielen meiner Gesprächspartner gar nicht weiß, wir sprachen nicht darüber, es gab Wichtigeres und Interessanteres zu erfahren.

Unterhielt ich mich nun, war das erste was ich beim Anblick der Kluft meines Gegenübers dachte nicht mehr „Aha, ein BdPler/DPSGler/VCPler.“(Samt allen dazugehörigen Vorurteilen. Die haben wir alle.) sondern „Ach, ein anderer Truppleiter, ein ‚Leidensgenosse‘. Wie schön!“

Die Verbandszugehörigkeit rückte immer mehr in den Hintergrund und die gemeinsame Aufgabe, unser gemeinsames Ziel, mit Jugendlichen nach Japan zu reisen und eine unvergessliche Zeit zu erleben, unsere Kontingentszugehörigkeit, wurde immer präsenter.

Das deutsche Kontingent wuchs auf diesem Lager zusammen und ich habe, auch von meinen Teilnehmenden, nur positives Feedback zur Jamboreekluft gehört.

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Wieder Zuhause und ein Stück weiter gedacht, bin ich der Meinung, die Bedeutung einer gemeinsamen Kluft wurde bisher stark unterschätzt.

Ein nicht unwesentliches Ziel der Pfadfinderbewegung ist das Engagement für ein weltweites, friedvolles Miteinander und wie bei fast allen großen Aufgaben steckt der Teufel im Detail.

Wie wollen deutsche Pfadfinder weltweit Grenzen des Glaubens, der sozialen Herkunft, der Nationalität und der Kultur überwinden und sich für ein gemeinsames friedvolles Miteinander einsetzen, wenn in der Basis, der gesamten deutschen Pfadfinder- und bündischen Bewegung, Zwietracht zwischen den Verbänden und Bünden herrscht? Wenn es schon innerhalb des eigenen Landes nicht  möglich ist mit denen die ’so anders als man selbst sind‘ zusammenzuarbeiten?

Wir sollten seltener von ‚unserem einzig richtigen Weg‘ auszugehen und einen Blick für die Gesamtheit, die gemeinsamen Ziele (Die ja durchaus auf unterschiedlichsten Wegen erreicht werden können. Wie schön!) entwickeln, dessen Fokus nicht auf unseren Unterschieden, sondern unseren Gemeinsamkeiten liegt.

Dann klappt‘s auch mit den anderen Verbänden.

Viele Grüße und Gut Pfad!

Mareike – die gerne in Petrol nach Japan fährt!

„Und plötzlich weißt du:

Es ist Zeit, etwas Neues zu beginnen

und dem Zauber des Anfangs zu vertrauen.“

(Meister Eckhart)

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8 Kommentare zu Eine gemeinsame Kluft – Das kann doch nicht gutgehen! Oder?

  • Hallo Mareike,
    vielen Dank für diese aufschlussreichen „Innenansichten“ zum Leben in der neuen Jamboreekluft. Ich selbst befürworte dieses Projekt auch, nur eine Frage bleibt bei mir hängen und bei der geht es rein um Oberflächlichkeiten: Warum hat man sich für einen Grünton entschieden? Es gibt einfach Farben, die rufen bei mir keine Begeisterungssürme hervor. Wobei ich mir die Farbwahl auch nicht einfach vorstelle…

  • schröder sagte:

    Super Artikel!Hoffentlich gibt es das Ding bald zu kaufen,hoffentlich trauen sich die Verbände! Lebt die Gemeinsamkeiten! Es sind mehr als ihr denkt.

  • Meines Wissens ist die Kluft petrol, weil die Farbe des Ringehalstuches schon feststand und es dazu passen musste (Komplementärkontrast). Außerdem sollte es keine Farbe sein, die man schon mit einem der Ringverbände assoziiert.
    Gut Pfad,
    upsi

  • Danke für den tollen Artikel! Wie ist das eigentlich bei anderen Landeskontingenten, in denen mehrere Verbände gemeinsam anreisen (hier habe ich insbesondere die Skandinavier im Kopf) – haben die inzwischen auch eine gemeinsame Landeskluft?

  • Hallo, ich (und alle 36 Jugendlichen) sind mittlerweile gesund wieder aus Japan zurück. Danke für die positiven Kommentare! Vielleicht gibt es nochmal einen „hinterher“ Artikel.

    @oskar: Bis auf sehr wenige Ausnahmen sind auf dem Jamboree die Länder in einheitlicher Kluft unterwegs, auch die Skansinavier.

    Liebe Grüße Mareike

  • Störtebecker sagte:

    Alle sprechen von Gemeinsamkeiten. Gemeinsamkeiten die in der inhaltlichen Ausrichtung deutlich kleiner sind als es auf den ersten Blick erscheint. Mein BdP Stamm unterscheidet sich von konfessionell ausgerichteten Gruppen in nicht unerheblichem Maße. Diese Unterschiede wollen wir auch gerne sichtbar machen. Sie sind Teil unserer eigenen Identität. Das „Ringehalstuch“ ist ursprünglich nur als Jamboree-Kontingentshalstuch eingeführt worden. Nun kann es sich jeder in den Ausrüstungshäusern kaufen und es gibt Funktionsträger auf Landes- und Bundesebene, die gar kein blau-gelbes Tuch mehr tragen. Eine ähnliche Strategie wird auch bei den Hemden verfolgt werden. Eine Aufweichung der Unterschiede, die alles andere als positiv zu bewerten ist.

  • Heute – ein Jahr nach dem Jamboree – kann ich nur sagen, dass ich die Ringekluft – pardon – ich meine natürlich Jamboreekluft sehr vermisse. Ich selbst kann Mareike nur zustimmen. Ich finde es überaus wichtig, dass sich die Verbände auf die Gemeinsamkeiten besinnen und über ihre Schatten springen.
    Sicherlich hat der ein oder andere Verband Unterschiede zu einem anderen Verband. Aber diese Unterschiede sehe ich genauso zwischen Stämmen desselben Verbandes. Dafür muss ich nicht mal in andere Landesverbände gehen; dafür reicht gelegentlich der Blick in den Nachbarort. Immer wieder höre ich von „grundlegenden“ Unterschieden, finde aber genauso häufig einen Stamm aus demselben Verband, der ebenfalls diese „grundlegenden“ Unterschiede praktiziert.
    Ab einer gewissen Größe ist es doch gar nicht mehr möglich, dass alle Ortsgruppen ähnlich laufen. Und das ist auch gut so. Die Pfadfinderei ist lebendig und verändert sich stetig. Was heute noch neumodisch und gewagt ist, kann in wenigen Jahren schon Tradition und „seit Jahren bewährt“ sein.

    Zurück zur Ringekluft. Auch ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass das Denken in Schubladen durch die Ringekluft deutlich erschwert wird. Und sollte das nicht genau der Sinn einer Kluft sein?
    Glücklicherweise höre ich fast nur positive Resonanz zur Ringekluft und bin mir sicher, dass durch dieses äußere Zeichen die Zusammenarbeit der Ringverbände nachhaltig gefördert wird.

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