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Die letzte große Fahrt der Falado

In zwei Monaten ging es für mich von New York nach Island. Eine einmalige Gelegenheit, ein einmaliges Erlebnis. Mit einer Crew von zehn wagemutigen Bündischen am Rande der Zivilisation entlang bis ins Eis – und wieder zurück ins »wirkliche« Leben. Keine Erzählung kann all das beschreiben, was wir in diesen Wochen erlebten. Keine Worte sind dafür zu finden, was diese Fahrt für jeden einzelnen von uns bedeutete. Zwischen den Crew-Mitgliedern reicht ein Blick, um sich all der gemeinsamen Erlebnisse zu erinnern. Für mich ist es ein unmögliches Unterfangen, euch davon zu berichten. Also lasse ich Auszüge aus der Chronik sprechen, die wir an Bord führten und die vielleicht das beste Bild dieser Fahrt wiedergibt.

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31. 5. – Anna

»Ihr müsst wohl lebensmüde sein ! Von New York nach Island mit ‘nem Holzboot ?« So der Plan ! Entgegen aller Warnungen, dafür voller Spannung, dass die Idee, der Wunsch, der Traum endlich wahr werde: Mit der Falado über den Nordatlantik zu segeln. Jeder hat eine eigene Geschichte mit dem Schiff. Und nun werden wir eine gemeinsame erleben.

Das erste surreale Spektakel liegt bereits hinter uns: Skyline-Segeln unter Augenschein der Freiheitsstatue. Was man so macht an einem sonnigen Samstag im Mai.

Nach einer Woche auf der Werft, etlichen Einkaufstouren, tagelangen Arbeiten am Schiff, nach einer Woche »Kennenlernen« sind wir mehr als bereit, das weite Meer zu finden und nach Island zu fahren.

2. 6. – Alwin

Es wird immer enger, je näher wir dem Ende des »Race« kommen. Nützlich ist wieder einmal unser AIS, als wir im Dunkeln von zwei Schleppern und einem Segler »umzingelt« sind. Der alte Mond ist nicht auffindbar, doch gerade deshalb fangen wir nun an, Sternbilder zu suchen.

Am nächsten Tag üben wir Mann-über-Bord-Manöver, während wir auf die Flut warten, die uns in den Cape-Cod-Kanal treibt. Stilecht durchsegeln wir mit über zehn Knoten den Kanal, während ringsum Fotoapparate auf uns gerichtet sind.

Stitched Panorama

8. 6. – Buchse

Draußen vor der Bucht ist die See dann doch etwas höher. Tipp: Schokokekse schmecken runter wie rauf gleich gut (für Seefahrer mit Geschmack). Weniger gut sind Chilikekse – mit gewissem Nachbrenneffekt im Raufgang.

11. 6. – Jan-David

Kurz bevor wir die Îles-de-la-Maidelaine erreichen, beschenkte uns ein Fischer mit acht Königskrabben, die er uns in Vorbeifahrt einfach aufs Deck warf. Ich hatte von dem Manöver leider nichts mitbekommen, da ich mich von der Nachtwache erholte. Allerdings weckte mich Alwin, indem er mir eines der Geschenke ins Gesicht hielt.

Noch bevor wir auf der Hauptinsel anlegten, bereiteten wir die Krabben zu. Im Hafen begegeneten wir dann wieder dem Fischer und revanchierten uns mit einer Flasche Portwein, um herauszufinden, dass wir dem Herrn bei seinem letzten Fischzug vor dem Ruhestand begegnet waren.

14. 6. – Rita

Wenn man von einer fast schon Loriot’schen Backschaft aus dem Schlaf geholt wird: Alwin wird von seinen zwei backerfahrenen Damen als Multifunktionsküchenmaschine eingesetzt und unter strengem Kommando als Rührer eingeteilt. Das schokoladige Ergebnis schmeckte ausgezeichnet.

17. 6. – Elias

Langsam spürt man, wie es kühler wird, doch noch ist es entspanntes Sommersegeln. Allerdings überschreiten wir schon die Eisgrenze und sichten bald am Horizont den ersten »Eisberg« (einen kleinen Brocken im Vergleich zu später gesichteten). Also Dinghi zu Wasser lassen und die Falado vor dem Eisberg fotografieren. Dann brauchen wir noch einen Brocken Eisbergeis, um endlich stilecht Whisky trinken zu können. Alwin schneidet sich den Finger an einer scharfen Eiskante auf, ehe wir das Bruchstück mit einem Tampen erst ins Dinghi und dann an Bord hieven können.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAKann es schöner werden ? Es kann. Labrador in Sicht, taucht inmitten eines an sich schon absurden Ensembles aus Sonnenuntergang, einsamem Leuchtturm und Eisberg ein Belugawal direkt am Schiff aus dem Wasser. Bis in den Hafen hinein folgt uns unser weißer Freund und spielt im Hafenbecken so dicht unter dem Boot, dass ich mich herunterbeugen und ihn an der Schnauze berühren kann. Segeln, Eis, Sonne und ein weißer Wal – die Welt scheint wie für uns gemacht !

18. 6. – Reni

Lieblingswetter: Klar, kühl und sonnig. Bei der Vorbereitung des Mittagessens bemerke ich zum ersten Mal, dass es unter Deck kälter ist als an Deck.

Gegen Abend erreichen wir die Rückseite der Insel unseres Tagesziels: Battle Harbour. Wer will, darf den Weg über die Insel zu Fuß zurücklegen. Also wollen Jan-David, Elias, Rita, Birger und ich vom Klüverbaum an Land springen. Klappt auch bei allen, nur bei mir nicht – das Schiff zieht etwa fünf Sekunden zu früh zurück und ich lande im Wasser. Doch wir stapfen los über die Insel. Was die alles zu bieten hat ! Quarz, Moose, Moore, winzige Birken und kleine Seen.

Es dunkelt allmählich und der Kompass  funktioniert hier nicht richtig. Wir sind zu weit nach Süden gelaufen und orientieren uns nun am Sonnenuntergang und zwei Tonnen, die hinter einem Hügel auftauchen. Wir kämpfen uns über die unterschiedlichsten Geländearten vor: Moor, Fels, steile Hänge, Wiese, Wald … Eigentlich ist es unsagbar schön, da wir ja wissen, dass wir in die richtige Richtung laufen, auch wenn es im Dunkeln immer schwerer wird.

24. 6. – Jan-David

In den frühen Morgenstunden kommen wir wieder in die Treibeiszone. Der Ausguck muss immer wichtigere Aufgaben übernehmen und teilweise ständige Kursänderungen aus dem Krähennest an Deck rufen – die Falado ist von den schönsten Eisformen und -farben umgeben.

Gegen Nachmittag der erste Kontakt mit Grönland: steile Berge, Gletscher und karges Land. Wir gehen auf die Suche nach den ominösen warmen Quellen, die schon in alten nordischen Sagen erwähnt werden. Im Südteil der Insel werden wir fündig und springen in das warme, dampfende Wasser. Dort verbringen wir die Zeit mit einem kalten Bier vor der Kulisse des Eisbergfriedhofs im Fjord. Elias und ich wagen uns auch einmal zum Meer hinunter, um zwischendurch ein Eisbad zu nehmen.

26. 6. – Anna

Die Welt liegt im Nebel und so gilt es, konzentriert und besonders aufmerksam Ausschau zu halten, um das Schiff sicher zwischen Eisbergen und Untiefen hindurch zu manövrieren. Im grauen Dunst leuchten die Eisgebilde in zart schimmernden Farbtönen. Dieses Grönland ! So unbeschreiblich schön. Ein schwarzer Eisberg zu Beginn des Trrsukátak-Fjords ist der Auftakt für eine mystische Fahrt, die von majestätischen Berggestalten, Felsenklüften, dunklem Stein und grünem Moos, mattem Weiß und strahlendem Eis gesäumt wird.

Das soll gefeiert werden: Gin an Deck, Musik, Strohhalme und natürlich: von Severin mit der Notfallaxt vom Eisberg abgeschlagenes Eis. Herrlich ![Group 4]-P6241320_P6241327-8 images

4. 7. – Elias

Mehr als zweieinhalbtausend Meilen liegen hinter uns, doch die Strecke ist kaum zu fassen. Was geschah vor zwei Wochen, was vor einem Monat ? Der Werft-Sommer in New York, die Kanalfahrt bei Cape Cod, freundliche Kanadier in Halifax, Wale vor Neufundland, Eisberge vor Labrador, eine nasse Nacht auf einem kargen Eiland und heiße Quellen vor Grönlands Küste.

Und doch, eine gespannte Erwartung: Kann man das Land schon sehen ? Island ! Immerhin das Ziel unserer Reise. Denn was zählt der Weg, wenn er nirgendwo hinführt ?

Epilog (13. 7. – 20. 7.) – Elias

An dieser Stelle wollte ich noch von der letzten Woche in Styykisholmur schreiben, über unser Leben an Bord – erst zu sechst, dann zu fünft, schließlich zu dritt – und unseren Einsatz für das Schiff, von der Bilge bis zum Masttop.

Nun hat mich die Wirklichkeit eingeholt, wie all jene, die mit der Falado verbunden waren. Bevor ich diese Zeilen formulieren konnte – zu voll noch von Eindrücken von der Reise, zu überwältigt von der Rückkehr in die »Zivilisation« – ist die Falado vor Island gesunken. Wir verließen das Schiff mit dem sicheren Gefühl, es in relativ kurzer Zeit wiederzusehen – nur das machte den Abschied erträglich – und in der Erwartung, dass die folgenden Crews sich an unsren Vorarbeiten freuen und über die ein oder andere kuriose Hinterlassenschaft lachen würden.

Was trotz allem bleibt: Die Erfahrungen von Wochen auf dem Schiff, die geprägt waren vom Zusammenhalt einer Crew, die gemeinsam an den Herausforderungen und Entbehrungen wächst und sich an kleinen und großen Dingen freut; in denen Stillstand und Spannung ebenso selbstverständlich dazugehören wie auf jeder Fahrt; die das Schiff zu einem Zuhause werden lassen, von dem man sich nicht vorstellen kann, dass es plötzlich nicht mehr da sein soll.

Wir wussten, dass wir eine einmalige Gelegenheit hatten, als wir uns auf diesen Törn, auf dieses Schiff einließen. Wir wissen, dass es die richtige Entscheidung war, auf diesem Törn dabei zu sein.

 Elias, jungenbund phoenix

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P. S.: Aus den Fotos und Videos die auf dem Törn entstanden sind hat Elias auch ein Video zusammengeschnitten das hier unter folgendem Link herunterladen könnt: http://eliasmüller.de/files/Diashow.m4v

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