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Slowakei – Mit dem Jungenbund Phoenix auf Sommerfahrt

Dies ist ein Gastartikel von felix vom Orden der Weitfahrer im Jungenbund Phoenix. Der Artikel erscheint auch in der kommenden myrrhenstreu, der postille des phoenix.

Etwas anders hatten wir uns diese Fahrt wohl erhofft. Ruhiger vielleicht. Gesammelter und bewusster als Gruppe. Einfach gemeinsam eintauchen in die Wälder und Berge des slowakischen Erzgebirges südlich der Tatra. Keine dramatischen Gipfel und heroischen Ziele, sondern Zeit, um sich aufeinander einzulassen und im Fahrtenerleben aufzugehen. Aber meist sind es ja nicht die äußeren Umstände, sondern wir selbst in ihnen, die uns am stärksten widerstreben.

Eigentlich war alles als eine große Ordensfahrt geplant gewesen, mit den beiden Fähnlein und dem Älterenkreis, die sich am Ende ihrer eigenen Unternehmungen in der Slowakei treffen sollten. Jedoch schwand nach Ostern einem Teil der Jüngeren die Fahrtenlust und für die Jüngsten ergab sich als Gruppe ein anderer Fahrtentermin. Es blieben also nunmehr die Älteren und die zwei, drei wackeren Strolche, die sich nicht von ihrem Abenteuermut abbringen ließen. Die Aussicht, doch noch gemeinsam als Orden unterwegs sein zu können, beflügelte unsere Planungen, zumal wir noch nie in solcher Runde getippelt waren.

So zogen wir denn zu sechst munter los. Der Nachtzug brachte uns von Dresden geschwind aber wenig erholsam nach Bratislava, dann ging es weiter nach Banská Bystrica, von wo aus wir mit eiligen Schritten in den alten Vulkankegel der Pol’ana loswanderten. Nach der letzten auch über eine Fahrstraße erreichbaren Baude zeigte sich bald, dass wir bei der Wahl unseres Zieles einen glücklichen Blick auf den Landkarten gehabt hatten. Regenwolken, die noch am Vortag den Empfang trübten, trieben nun als weiche Haufen rasch in den blauen Weiten, die den sanfthügeligen Kessel mit seinen anmutigen Wiesen und Weiden überspannte. Auf den Höhen empfing uns ein buchiger Urwald mit knorrigen Gestalten und felsigen Steigen. Ausblicke öffneten sich auf Ausläufer der Tatra und die Mittelgebirge im Westen. Die Nacht verbrachten wir unweit herrlicher Bergwiesen an einer verlassenen Hütte, unter deren Dach sich gar ein Lager im Stroh fand, was wir in der empfindlichen Kühle eines leuchtenden Sternenbogens über uns gerne annahmen.

Doch gelang uns das Miteinander nicht so harmonisch, dass es die äußeren Eindrücke hätte spiegeln können. Aufbruch und Ende einer Fahrt bewusst zu vollziehen, ist eine große Kunst. Nicht immer gelingen diese Übergänge, aber die Art, wie wir sie begehen, bestimmt das innere Gefüge – des Erlebens wie der Erinnerungen, die sich daran knüpfen. Wir jedenfalls stolperten allzu unbedarft in die gemeinsamen Fahrtentage hinein. Der Austausch blieb zu lang im Nichtigen und Albernen, das Singen spärlich und halbherzig. Dazu erwies sich, dass es unserem alten Hobbit, dessen große Fahrtenzeiten schon ein wenig zurücklagen und der nun bei den zahlreichen und heftigen Anstiegen am stärksten ins Schnaufen kam, einigermaßen schwer fiel, sich in die Gruppensituation des mittlerweile gewachsenen Ordens zu finden.

Die folgende Nacht lagerten wir unter freiem Sternenhimmel, weil wir erst nach spätem Marsch in einem Dorf anlangten, wo sich die erhoffte Gaststube als reiner Ausschank erwies. So blieben nach Bier, Kofola und einem Kickertunier mit dem jungen Wirt nur ein Stück Käse und des alten Hobbits eiserne Reserve an Ölsardinen als karges Mahl. Eine frühe heiße Sonne rief uns wach, nach einem Feuer am Wegesrand für den morgendlichen Kaffee und dem Einkauf im Dorfkonsum strebten wir schon weiter ostwärts, dem nächsten Höhenrücken zu. Glücklicherweise erfrischten uns kühle Quellen in der sommerlichen Hitze und die Mittagszeit verdösten wir unter Weiden an der Quelle eines aufgegebenen Gehöftes. Doch langes Rasten am Tage bringt oft ein langes Tippeln bis in den Abend mit sich, um das gesteckte Ziel zu erreichen. Beim Abstieg über steile Wiesen ins nächste Tal standen schmerzende Knie und der Eindruck des schönen Panoramas unversöhnlich gegeneinander.

Es blieb anstrengend und wir von Unrast erfüllt. Nach dem nächsten Aufstieg gönnten wir uns einen halben Ruhetag an einer alten Almhütte in für die Gegend typischer Blockbauweise, zogen aber unsere Kohte auf der sauberen Wiese den schmierigen Matratzen vor. Schon ging es wieder steil abwärts. Himbeerdickichte, in denen wohl Bären ihr Spuren gebahnt hatte, säumten den Weg. Die nächste kleine Straße nutzten wir, um ein paar Kilometer in einen größeren Ort zu fahren, wo wir Lebensmittel nachkaufen mussten. Einkehr bot sich nur in einer sozialistisch kühlen Speisehalle, in der alle an eine Gaststätte erinnernden Dekorationen deplatziert und verloren wirkten.

Wir zogen eilig weiter in die Muránska planina, einer karstigen Hochebene, die aber auch erst einmal erklommen sein will. Auf 1400 Metern kamen wir am folgenden Tag zwischen kahlen Fichten und Heidelbeeren ins Frösteln und Regen zog auf, bevor es in schmerzendem Trippelschritt einen ausgewaschenen Pfad hinab zum nächsten Pass ging, wo der gemeinsame Marsch ein allzu abruptes Ende finden sollte. Jufs Knie, das schon in den vorangegangen Tagen Sorgen bereitet hatte, schmerzte so sehr, dass an ein Weitergehen nicht mehr zu denken war. Immerhin war der Ort günstig, denn unweit des Weges fand sich eine hübsche neue Blockhütte, deren Wirtin mit einer eigenen Salbe und Verband Linderung schaffte. Wir fügten uns in das Unvermeidbare, entschieden uns zu bleiben, zumal auch für unseren Ältesten der Abschied nahte. Für wenige Euro gab es ein Nachtlager auf dem Holzboden unterm Dach. Wir ruhten den Nachmittag erschöpft am warmen Ofen aus und versuchten am Abend den Abschied mit deftiger Suppe und Gesang würdig zu begehen.

Die Zäsur so recht zu begreifen, hatten wir keine Zeit. Am nächsten Morgen brachte unsere Wirtin die zwei Älteren mit dem Auto hinab ins Tal zur nächsten kleinen Stadt, wo Christoph den Heimweg antreten konnte. Wir vier Verbliebenen eilten weiter, um doch noch rechtzeitig den mit unseren beiden Nachzüglern vereinbarten Treffpunkt zu erreichen, wohin Juf nun per Tramp gelangte. Nach einer gemeinsamen Nacht in der Kohte machte er sich allein auf den Weg, um auf den Straßen in den Tälern zum Zielpunk zu gelangen – denn einen solchen hatten wir immerhin: Die Klopptanne, „der Berg der Jugendbewegung in der Zips“, wo sich in den zwanziger Jahren die sudetendeutschen Wandervögel trafen. Im nahen Mníšek nad Hnilcom oder Einsiedel an der Göllnitz wussten wir von einem alten Bündischen, der sich dort vor einigen Jahren niedergelassen hat und auf seiner Wiese gern Fahrtengruppen lagern lässt.

Neu hieß es sich einzulassen auf die Fahrtengruppe und eine sich wandelnde Landschaft. Wir sechs erklommen wiederum den nächsten Gipfel von fast 1500 Metern, zogen über weitere Höhenzüge gen Osten. Pfifferlinge und andere Pilze wollten weniger gesucht als am Wegesrand gepflückt werden. Doch auch die reichliche Pilzmahlzeit konnten nicht verhindern, das wir am nächsten Morgen einen hungrigen Marsch zum nächsten Dorf antreten mussten, weil unsere Vorräte erschöpft waren. Die Gegend wurde wilder, auch wenn wir uns nicht mehr in geschützter Natur befanden, denn die Berge waren einsamer und noch weniger touristisch erschlossen als die, welche wir bisher durchquert hatten. Die Buchenhallen wurden von Fichtenwald abgelöst. Der Kammweg, dem wir bald folgen konnten, war von Windwurf und Holzeinschlag gezeichnet. Ein langer Marsch führte uns bis weit in die Nacht, weil wir Wasser brauchten und die Quellen rar waren. Dabei erwiesen die sonst so öden Rodungen ihre schöne Seite, denn im hellen Vollmondlicht ließ sich der Weg gut verfolgen. Still und festen Schrittes liefen wir dahin, während der Wind Wolkenfetzen durch den dunklen Himmel jagte. Am folgenden Morgen gönnten wir uns ein langes Frühstück in der Sonne, bevor wir wieder ins Tal hinabwanderten. Kaum hatten wir als Fahrtengruppe zueinander gefunden, zerfiel sie schon wieder.

Schließlich kamen wir spät abends in Einsiedel an, fragten uns zum Hof von Wolfo durch, wobei den Zigeunerjungen mit Blick auf unsere Gitarren schnell klar war, wohin wir wollten, und trafen dort den soeben eingetroffenen Juf. Nach einem frohen Hallo bauten wir noch rasch die Kohte auf der Wiese inmitten des Dorfes. Wir verbrachten einen ruhigen Tag, mähten das Gras um unser Zelt, pflegten abends in der Kneipe ein wenig deutschsprachigen Kontakt und konnten gerade noch verhindern, dass uns ein gewisser Günter mit spendiertem Wacholderschnaps abfüllte, weil er uns sein Lied beibringen wollte – der alte Zecher war vor uns außer Gefecht, doch sein mit glasigen Augen lallend und ohne rechte Melodie hervorgebrachter Gesang blieb uns im Ohr: „Wenn Du einmal in die Welt willst gehen, denk darüber nach… Jeder sagt dir gleich, das schönste Ort im Reich ist das, von dem Du singst… Einsiedelooh… Einsiedel ist…“ Am Morgen schwitzten wir den Rausch beim Aufstieg zur Klopptanne aus.

Insgesamt jedoch wurde es ein müder Abgesang, die Spannung war raus und mit dem Lagern schwand die Verbindlichkeit eines gemeinsamen Ziels. Die stille Notwendigkeit des Wanderns fehlte uns nun und so faserte auch das Miteinander aus. Den Resten karpatendeutschen Lebens nachzuspüren, das diesen Teil der Slowakei lange geprägt hat, fehlten uns Zeit und Kraft. Als wir zum Abschluss schon halb auf dem Heimweg noch die beeindruckende Zipser Burg besuchten, war die Stimmung matt und gereizt.

Eine gutes Fahrtengebiet, Herausforderungen, Strapazen, frohe Feste, Fahrtenglück – alles war dabei gewesen. Dennoch blieb ein schaler Nachgeschmack, als hätten wir etwas Wichtiges dabei vergessen. Nichts Äußeres hatte uns gefehlt, sondern die gemeinsame Mitte. Die stillen Momente blieben rar, kaum konnten wir uns zu tieferen Gesprächen öffnen. Das Fahrtenbuch führten wir lustlos und immer mit mehreren Tagen Abstand, vervollständigten die Aufzeichnungen erst lange nach der Heimkehr. So blieb das Erleben Stückwerk. Sicher: Jeder hegt auf Fahrt seine persönlichen Hoffnungen, macht ganz eigene Erfahrungen, die nur zum Teil in die Gruppe vermittelbar sind. Aber hier schienen sie kaum miteinander verwoben. Vielleicht war auch der Anspruch zu hoch gewesen. Denn er wächst mit jeder geglückten Fahrt, von der man schöne Erinnerungen mit sich weiterträgt. Niemals sollte man sich aber der Versuchung anheim geben, so etwas wiederholen zu wollen. Was uns nicht recht gelang, war uns ganz einzulassen auf das Geschehen, das sich auf Fahrt bald von selbst einstellt. Uns zurückzunehmen, nicht zu viel zu wollen. Das reine Dasein ist uns heute wohl immer schwerer möglich und auch auf Fahrt müssen wir es erst neu lernen. Vielleicht waren da gerade die Jüngeren gesünder in ihrem Erleben: Denn für sie immerhin blieb es das erhoffte Abenteuer: die erste große Sommerfahrt oder ein weiterer geglückter Aufbruch mit guten Gefährten.

felix

Orden der Weitfahrer

Von:

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Ein Kommentar zu Slowakei – Mit dem Jungenbund Phoenix auf Sommerfahrt

  • gefällt mir. man kann auch mal in einem fahrtenbericht über soetwas nachdenken.
    gerade wenn man nur noch zeit für eine große fahrt im jahr findet, kann der eigene erwartungsdruck viele andere veranstaltungen stören…

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